Bella Italia – oder Griechenland 2.0? - GLKB
Bella Italia – oder Griechenland 2.0?
Auswirkungen der hohen Staatsverschuldung auf Zinsen und Finanzmärkte. Dient das neue Anti-Spread-Instrument (TPI) der EZB zur Prävention einer weiteren Schuldenkrise?
In den einen oder anderen EU-Staaten scheinen Mark Twains Vorstellungen von Solidität Wirklichkeit geworden zu sein: Von jetzt an werde ich nur so viel Geld ausgeben, wie ich einnehme, selbst wenn ich mir dafür Geld borgen muss. Italien hat derzeit eine Schuldenquote von über 150% des jährlichen BIP. Damit müsste Italien das BIP von 18 Monaten aufwenden, um die Schulden tilgen zu können. Den Maastrichter Konvergenzkriterien, die besagen, dass ein EU-Staat maximal eine Schuldenquote von 60% haben darf, dürfte heute allenfalls noch in einer Vorlesung über Wirtschaftsgeschichte Beachtung geschenkt werden.
Die jüngsten Ereignisse in der italienischen Politik mit dem Sturz der Draghi-Regierung haben nicht nur Auswirkungen auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene. Neuwahlen wurden für Ende September angekündigt. Italien muss wichtige und dringliche Reformen durchführen, um europäische Geldmittel aus dem Wiederaufbaufonds zu erhalten. Das sind rund 200 Mrd. Euro für dringende Investitionen in Krankenhäuser, Eisenbahn, Strasseninfrastruktur usw. Auch das Haushaltsbudget für 2023 muss bis Dezember genehmigt werden. All dies im Kontext international steigender Verbraucherpreise, der Ukraine-Krise und einer wahrscheinlich eintretenden Rezession. Mit seiner Erfahrung und internationalen Anerkennung wäre Draghi zwar dafür prädestiniert, die bevorstehenden Herausforderungen Italiens zu bewältigen, jedoch schränkt das politische Umfeld seine Handlungskompetenzen stark ein. So konnten weder die rechtspopulistische Forza um den ehemaligen Ministerpräsidenten Berlusconi noch die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega eine stabile Mehrheit für Draghis Regierung garantieren. Letztlich darf nicht vergessen werden, dass neben Staatspräsident Mattarella auch grosse Teile der italienischen Bevölkerung gegen Neuwahlen waren. Was in Italien passiert ist, erscheint absurd und entbehrt jeglicher Logik.
Um die Dimension für Europa zu verdeutlichen: Italien ist nach Deutschland und Frankreich die drittgrösste Volkswirtschaft innerhalb der Eurozone und mit einem Anteil von rund 15% am gesamten europäischen BIP grösser als Griechenland, Portugal und Spanien zusammen (EU – BIP in Europa 2021, Statista). Die Staatsverschuldung Italiens ist siebenmal höher als die Griechenlands (EU – Staatsverschuldung in den Mitgliedstaaten 2022, Statista). Mit allen kumulierten Schulden und Staatsgarantien (Staatsanleihen, Monte dei Paschi, staatsgarantierte Kredite, Schulden der Provinzen usw.) liegt diese gar um einiges höher. Diese Parameter geben eine Vorstellung davon, wie gross und wichtig Italien für die europäische Wirtschaft und die Finanzmärkte ist, insbesondere in der aktuellen Situation der globalen Inflation, der Energiekrise (Öl und Gas) und der geopolitischen Spannungen.
Die Renditen für italienische Staatsanleihen sind nach der unerwarteten Nachricht vom Rücktritt Draghis stark gestiegen. Wenn man bedenkt, dass die EZB die Zinsen wahrscheinlich weiter anheben muss, um die hohe Inflation zu bekämpfen, dürften die italienischen Renditen angesichts fehlender politischer Stabilität und finanzieller Disziplin im Land weiterhin überproportional steigen. Trotz all dieser Probleme sollte betont werden, dass Italien kein Griechenland 2.0 ist. Aktuell ist die Tragfähigkeit der italienischen Staatsverschuldung gewährleistet, weil die EZB ein neues geldpolitisches Anti-Spread-Instrument (TPI: Transmission Protection Instrument) angekündigt hat, das übermässig hohe Risikoaufschläge (Rendite-Spreads) der italienischen Staatsanleihen und anderer hoch verschuldeter Länder vermeiden soll. Diese Massnahme zielt darauf ab, einer weiteren Staatsschuldenkrise mit Finanzmarktturbulenzen wie im Jahr 2010/11 vorzubeugen.
Die EZB hat die nötige Erfahrung aus der damaligen Schuldenkrise mit Griechenland gesammelt. Das neue TPI-Instrument bezweckt den unlimitierten Kauf von Staatsanleihen von Ländern wie Italien, falls sich der Risikoaufschlag (Sovereign Spread) und die entsprechenden Zinsen dieser Länder zu weit ausdehnen. Damit will die EZB vermeiden, dass hoch verschuldete Länder zu hohe Refinanzierungskosten zahlen müssen. Dies sollte gleichzeitig eine Schuldenkrise und die damit einhergehenden Auswirkungen auf die Finanzmärkte eindämmen. Der unlimitierte Kauf von Staatsanleihen von finanzschwachen Ländern ist ein gutes Instrument zur Prävention einer weiteren Schuldenkrise. Die EZB hat bereits solide Erfahrungen mit dem Anleihenkaufprogramm (das berühmte Quantitative Easing) gemacht. Darüber hinaus hat die hohe Inflation einen Abwertungseffekt auf die Schulden aller hoch verschuldeten Länder wie Italien, Spanien, Portugal und Griechenland. Anders ausgedrückt, bei einer hohen Inflation werden die Schulden zu einem niedrigeren Wert zurückgezahlt, wodurch die Schuldner deutlich bessergestellt sind. Grössere Zweifel an der Zahlungsfähigkeit Italiens sollten deshalb erst einmal nicht aufkommen. Allerdings dürfte das TPI-Instrument von Verfassungsjuristen geprüft werden und sein Einsatz ist deshalb noch fraglich.
Die Risiken sind eher politischer Natur. Die Neuwahlen vom 25. September 2022 müssen zu einer klaren parlamentarischen Mehrheit und einer effektiven Regierung führen, um die finanziellen Herausforderungen anzugehen. Politische Instabilität in Italien könnte zu Volatilität und Unsicherheit an den Finanzmärkten führen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die neue geldpolitische Massnahme der EZB (TPI) zur Prävention einer weiteren Schuldenkrise dient. Das TPI (Transmission Protection Instrument) sollte die Stabilität an den Finanzmärkten sicherstellen. Trotzdem erfordert das aktuelle makroökonomische Umfeld nach wie vor eine umsichtige Portfoliostrategie, wobei eine breite Diversifikation über Anlageklassen angebracht ist. Im Anleihenbereich werden kürzere Laufzeiten von Schuldnern höherer Bonität bevorzugt. Darüber hinaus sollte die Anlageklasse Aktien defensive und weniger konjunktursensible Sektoren enthalten. Die kommenden Monate sollten mehr Klarheit über Inflationstrends, Wirtschaftsentwicklung und Zinsen bringen. Die Unsicherheit zu diesen Themen ist derzeit noch zu hoch, was die aktuell hohe Volatilität an den Finanzmärkten erklärt.